Mauern
von Werner Lutz


Die Schlepper hatten abkassiert,
die Kinder halten ihre Hand,
der Mond scheint, als das Boot ablegt:
irgendwo hin in so ein reiches Land.

Sie kamen aus Nigeria,
wo man an Pipelines explodiert,
oder – wenn die Kraft nicht reicht –
an Hunger und AIDS einfach so krepiert.

Es ist die Zeit der großen Mauern,
die nicht mehr überwindbar sind.
Und diese Festung heißt Europa,
kolonial bewehrt und altgedient.

Sie wärmten sich, die Nacht war kalt,
weit vorn das Leuchtfeuer vom Turm,
doch plötzlich fiel der Motor aus,
es dämmerte schon – dann begann der Sturm.

Drei Tage später fand man sie,
umklammert, angeschwemmt im Kies,
sie kamen aus Nigeria,
und warn auf der Flucht ins Paradies.

Es ist die Zeit der großen Mauern…

Es geht in Lampedusa dort,
bei Fischern die Legende um,
`ne Fischart fräße Leichen schon,
und sei deshalb nicht mehr eßbar drum.

Und wieder mal `ne Meldung heut’,
die hierzuland’ man schnell vergißt,
von einer Flucht ins Paradies,
die schließlich und ganz perspektivlos ist.

Es ist die Zeit der großen Mauern…




Kurzbiografie von Werner Lutz

Ich bin Jahrgang 1954, war bis 1988 Verwaltungsbeamter bei der Stadt Erlangen.
Durch eine dienstliche Abmahnung schon frühzeitig mit dem Prädikat „überempfindliches Demokratieverständnis“ ausgezeichnet.
1988 freiwilliges Ausscheiden aus dem Öffentlichen Dienst. Tätigkeit als Journalist, danach arbeitslos, seit 1990 wieder im Öffentlichen Dienst als Arbeiter.
Ab Ende der 70er erste kulturelle Aktivitäten als Liedermacher. Zahlreiche Auftritte in der Friedensbewegung, bei Streiks, Betriebsbesetzungen und Demos gegen Nazis.